Annette von Droste-Hülshoff
(1797 - 1848)
Dichters Naturgefühl
Es war an einem jener Tage,
Wo Lenz und Winter sind im Streit,
Wo naß das Veilchen klebt am Haage,
Kurz, um die erste Maienzeit;
Ich suchte keuchend mir den Weg
Durch sumpfge Wiesen, dürre Raine,
Wo matt die Kröte hockt' am Steine,
Die Eidechs schlüpfte über'n Steg.
Durch hundert kleine
Wassertruhen,
Die wie verkühlter Spüligt stehn,
Zu stelzen mit den Gummischuhen,
Bei Gott, heißt das Spazierengehn?
Natur, wer auf dem Haberrohr
In Jamben, Stanzen, süßen Phrasen
So manches Loblied dir geblasen,
Dem stell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück
den Schleier wehen
Die eitle, vielbesungne Frau,
Als fürchte sie des Dichters Schmähen;
Im Sonnenlichte stand die Au,
Und bei dem ersten linden Strahl
Stieg eine Lerche aus den Schollen,
Und ließ ihr Tirilirum rollen
Recht wacker durch den Äthersaal.
Die Quellchen, glitzernd
wie Kristallen, -
Die Zweige, glänzend emailliert -
Das kann dem Kenner schon gefallen,
Ich nickte lächelnd: "es passiert!"
Und stapfte fort in eine Schluft,
Es war ein still und sonnig Fleckchen,
Wo tausend Anemonenglöckchen
Umgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp'ge Moos
- der Lerchen Lieder -
Der Blumen Flor - des Krautes Keim -
Auf meinen Mantel saß ich nieder
Und sann auf einen Frühlingsreim.
Da - alle Musen, welch ein Ton! -
Da kam den Rain entlang gesungen
So eine Art von dummen Jungen,
Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Efeukranz im flächsnen Haare,
In seiner Hand den Veilchenstrauß,
So trug er seine achtzehn Jahre
Romantisch in den Lenz hinaus.
Nun schlüpft er durch des Hagens Loch,
Nun hing er an den Dornenzwecken
Wie Abrams Widder in den Hecken,
Und in den Dornen pfiff er noch.
Bald hatt' er beugend,
gleitend, springend,
Den Blumenanger abgegrast,
Und rief nun, seine Mähnen schwingend:
"Viktoria, Trompeten blast!"
Dann flüstert er mit süßem Hall:
"Oh, wären es die schwed'schen Hörner!"
Und dann begann ein Lied von Körner;
Fürwahr, du bist 'ne Nachtigall!
Ich sah ihn, wie er
an dem Walle
Im feuchten Moose niedersaß,
Und nun die Veilchen, Glöckchen alle
Mit sel'gem Blick zu Sträußen las,
Auf seiner Stirn den Sonnenstrahl;
Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,
Warum? Ich weiß es nicht zu sagen,
Der fade Bursch war mir fatal.
Noch war ich von dem
blinden Hessen
Auf meinem Mantel nicht gesehn,
Und so begann ich zu ermessen,
Wie übel ihm von Gott geschehn;
Oh Himmel, welch ein traurig Los,
Das Schicksal eines dummen Jungen,
Der zum Kopisten sich geschwungen
Und auf den Schreiber steuert los!
Der in den kargen
Feierstunden
Romane von der Zofe borgt,
Beklagt des Löwenritters Wunden
Und seufzend um den Posa sorgt,
Der seine Zelle, kalt und klein,
Schmückt mit Aladdins Zaubergabe
Und an dem Quell, wie Schillers Knabe,
Violen schlingt in Kränzelein!
In dessen wirbelndem
Gehirne
Das Leben spukt gleich einer Fei,
Der - hastig fuhr ich an die Stirne:
"Wie, eine Mücke schon im Mai?"
Und trabte zu der Schlucht hinaus,
Hohl hustend, mit beklemmter Lunge,
Und drinnen blieb der dumme Junge
Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß!
Katharine Schücking
Du hast es nie geahndet, nie gewußt,
Wie groß mein Lieben ist zu dir gewesen,
Nie hat dein klares Aug' in meiner Brust
Die scheu verhüllte Runenschrift gelesen,
Wenn du mir freundlich reichtest deine Hand,
Und wir zusammen durch die Grüne wallten,
Nicht wußtest du, daß wie ein Götterpfand
Ich, wie ein köstlich Kleinod sie gehalten.
Du sahst mich nicht
als ich, ein heftig Kind,
Vom ersten Kuß der jungen Muse trunken,
Im Garten kniete, wo die Quelle rinnt,
Und weinend in die Gräser bin gesunken;
Als zitternd ich gedreht der Türe Schloß,
Da ich zum ersten Mal dich sollte scheuen,
Westphalens Dichterin, und wie da floß
Durch mein bewegtes Herz ein selig Grauen.
Sehr jung war ich
und sehr an Liebe reich,
Begeisterung, der Hauch von dem ich lebte;
Ach! Manches ist zerstäubt, der Asche gleich,
Was einst als Flamme durch die Adern bebte!
Mein Blick war klar und mein Erkennen stark,
Von seinem Trone mußte manches steigen,
Und was ich einst genannt des Lebens Mark,
Das fühlt' ich jetzt mit frischem Stolz mein eigen.
So scheut' ich es
als fromme Schülerin,
Dir wieder in das dunkle Aug' zu sehen,
Ich wollte nicht vor meiner Meisterin
Hochmütig, mit bedecktem Haupte, stehen.
Auch war ich krank, mein Sinnen sehr verwirrt,
Und keinen Namen mocht' ich sehnend nennen;
Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,
Du drangst zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich
tratest, fest und klar,
Und blicktest tief mir in der Seele Gründe,
Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,
Was ich gedacht, das schien mir schwere Sünde.
Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,
Stieg wie ein Phönix aus der Asche wieder,
Und tief im Herzen hab' ich es erkannt,
Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du sahst, Bescheid'ne,
nicht, daß damals hier
Aus deinem Blick Genesung ich getrunken,
Daß deines Mundes Laute damals mir
Wie Naphtha in die Seele sind gesunken.
Ein jedes Wort, durchsichtig wie Kristall
Und kräftig gleich dem edelsten der Weine,
Schien mir zu rufen: "Auf! der Launen Ball,
Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!"
Nun bist du hin! von Gottes reinstem Bild
Ist nur ein grüner Hügel uns geblieben,
Den heut' umziehn die Winterstürme wild
Und die Gedanken derer, die dich lieben.
Auch hör' ich, daß man einen Kranz gelegt
Von Lorbeer in des Grabes dunkle Moose,
Doch ich, Kathinka, widme dir bewegt
Den Efeu und die dornenvollste Rose.
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