Theodor Storm (1817 - 1888)

Im Zeichen des Todes


Noch war die Jugend mein, die schöne, ganze,
Ein Morgen nur, ein Gestern gab es nicht;
Da sah der Tod im hellsten Sonnenglanze,
Mein Haar berührend, mir ins Angesicht.

Die Welt erlosch, der Himmel brannte trübe;
Ich sprang empor, entsetzt und ungestüm.
Doch er verschwand; die Ewigkeit der Liebe
Lag vor mir noch und trennte mich von ihm.

Und heute nun - im sonnigen Gemache
Zur Rechten und zur Linken schlief mein Kind;
Des zarten Atems lauschend hielt ich Wache,
Und an den Fenstern ging der Sommerwind.

Da sanken Nebelschleier dicht und dichter
Auf mich herab; kaum schienen noch hervor
Der Kinder schlummerselige Gesichter,
Und nicht mehr drang ihr Atem an mein Ohr.

Ich wollte rufen; doch die Stimme keuchte,
Bis hell die Angst aus meinem Herzen schrie.
Vergebens doch; kein Schrei der Angst erreichte,
Kein Laut der Liebe mehr erreichte sie.

In grauer Finsternis stand ich verlassen,
Bewegungslos und schauernden Gebeins;
Ich fühlte kalt mein schlagend Herz erfassen,
Und ein entsetzlich Auge sank in meins.

Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen
Und faßte mühsam meines Auges Kraft;
Dann überkam vorahnend mich Vertrauen
Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft.

Und als ich fest den Blick zurückgegeben,
Lag plötzlich tief zu Füßen mir die Welt;
Ich sah mich hoch und frei ob allem Leben
An deiner Hand, furchbarer Fürst, gestellt.

Den Dampf der Erde sah empor ich streben
Und ballen sich zu Mensch- und Tiergestalt;
Sah es sich schütteln, tasten, sah es leben,
Und taumeln dann und schwinden alsobald.

Im fahlen Schein im Abgrund sah ich's liegen,
Und sah sich's regen, in der Städte Rauch;
Ich sah es wimmeln, hasten, sich bekriegen,
Und sah mich selbst bei den Gestalten auch.

Und niederschauend von des Todes Warte,
Kam mir der Drang, das Leben zu bestehn,
Die Luft, dem Feind, der unten meiner harrte,
mit vollem Aug ins Angesicht zu sehn.

Und kühlen Hauches durch die Adern rinnen
Fühlt ich die Kraft, entgegen Lust und Schmerz
Vom Leben fest mich selber zu gewinnen,
Wenn andres nicht, so doch ein ganzes Herz. -

Da fühlt ich mich im Sonnenlicht erwachen;
Es dämmerte, verschwebte und zerrann;
In meine Ohren klang der Kinder Lachen,
Und frische, blaue Augen sahn mich an.

Oh schöne Welt! So sei in ernstem Zeichen
Begonnen denn der neue Lebenstag!
Es wird die Stirn nicht allzusehr erbleichen,
Auf der, oh Tod, dein dunkles Auge lag.

Ich fühle tief, du gönnetest nicht allen
Dein Angesicht; sie schauen dich ja nur,
Wenn sie dir taumelnd in die Arme fallen,
Ihr Los erfüllend gleich der Kreatur.

Mich aber laß unirren Augs erblicken,
Wie sie, von keiner Ahnung angeweht,
Brutalen Sinns ihr nichtig Werk beschicken,
Unkundig deiner stillen Majestät.


[1851, im Alter von 34 Jahren]

 

Lucie

Ich seh sie noch, ihr Büchlein in der Hand,
Nach jener Bank dort, an der Gartenwand
Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen;
Sie wußte wohl, es mühte sie das Lernen.

Nicht war sie klug, nicht schön; mir aber war
Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar,
Mir war es lieb; aus der Erinnrung Düster
Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.

Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir,
Und nächtens Wang an Wange schliefen wir;
Das war so schön! Noch weht ein Kinderfrieden
Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.

Ein Ende kam; - ein Tag, sie wurde krank
Und lag im Fieber viele Wochen lang;
Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen,
Da ging sie heim; es blühten die Syringen.

Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus
Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus.
Wohl zwanzig Jahr und drüber sind vergangen -
An wie viel anderm hat mein Herz gehangen!

Was hab ich heute denn nach dir gebangt?
Bist du mir nah und hast nach mir verlangt?
Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen,
Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fühlen?

 

 

 

 


Theodor Fontane (1819 - 1898)

Neueste Väterweisheit


Zieh nun also in die Welt,
Tue beharrlich, was dir gefällt,
Werde keiner Gefühle Beute,
Meide sorglich arme Leute,
Werde kein gelehrter Klauber,
Wissenschaft ist fauler Zauber,
Sei für Rothschild statt für Ranke1,
Nimm den Main und laß die Panke,
Nimm den Butt und laß die Flunder,
Geld ist Glück und Kunst ist Plunder,
Vorwärts auf der schlechtsten Kragge2,
Wenn nur unter großer Flagge.
Pred'ge Tugend, pred'ge Sitte,
Millionär ist dann das dritte,
Quäl dich nicht mit "wohlerzogen".
Vorwärts mit den Ellenbogen,
Und zeig jedem jeden Falles:
"Du bist nichts, und ich bin alles."

 


Im Herbst


Es fällt das Laub wie Regentropfen
So zahllos auf die Stoppelflur;
Matt pulst der Bach wie letztes Klopfen
Im Todeskampfe der Natur.

Still wird's! Und als den tiefen Frieden
Ein leises Wehen jetzt durchzog,
Da mocht' es sein, daß abgeschieden
Die Erdenseele aufwärts flog.


[1844, im Alter von 25 Jahren - die Handschrift trug den eingeklam-merten Nachsatz: "Mama sagte: rücksichtslos wie immer."]

 


Die Strandbuche

Hoch auf meerumbrauster Düne ragt in voller Maienpracht
Eine Buche. "Mutter" - ruft sie "wieder kam das Meer bei Nacht,
Wieder hat's aus grünem Seetang viel der Kränze mir geschlungen,
Hat mir Bernsteinschmuck gespendet und von Liebe viel gesungen.

Mutter, schilt es nicht Verführer, sag' nicht, daß es treulos wär',
Treulos ist allein die Schwäche, und gewaltig ist das Meer,
Hieltest du mich nicht umklammert, Mutter Erde, liebestrunken,
Wär ich nachts, als es mich lockte, hin an seine Brust gesunken."

"Sturm herbei!" rief wild aufjauchzend jetzt das liebessichre Meer,
Und auf hundert Wolkenrossen jagte schnaubend er einher.
"Auf! entwurzle mir die Buche, 's gilt der Sehnsucht Schmerz zu kürzen,
Wär' sie frei, sie würde selber sich in meine Arme stürzen.

"Arme Törin, die des Meeres eitlen Liebesschwüren traut!
Jeder Tanne spend' ich Bernstein, jede Buche nenn' ich Braut;
Nicht um unerfüllte Hoffnung, um betrogne sollst du trauern,
Und der Liebe Wonne wird dich bald wie Todesfrost durchschauern."

Tiefes Schweigen; - aber plötzlich kracht die Buche sturmgepackt,
Blätterstiebend stürzt sie nieder wie ein grüner Katarakt3;
Laut erbrausend heißt sein neues Opfer jetzt das Meer willkommen,
Hoch aufschäumend hat's der Riese an die Wellenbrust genommen.

"Weh, halt ein in deinem Rasen, das mich zu vernichten droht,
So entblättert nicht die Liebe, so entblättert nur der Tod!"
Doch die Leidenschaft des Riesen kennet nicht der Lieb' Erbarmen,
Und er spielt mit seinem Opfer, bis es tot in seinen Armen.

Aber dann, als ob er Abscheu gegen eine Leiche fühlt,
Hat er seine Lüfte Spielzeug wieder an den Strand gespült;
An dem Fuß der Düne, deren Gipfel einst der Baum beschattet,
Hat die alte Mutter Erde ihr entführtes Kind bestattet.


[1844]